Dienstag, Juli 18, 2006

Die Ackerkapelle


Digitalfotoaufnahme von Heinz Hongler, August 2006

Die jüngste der "Maria-Hilf"-Kapellen der Pfarrei Appenzell steht auf einem Grundstück, das früher Lehensgut war und somit dem Fürstabt von St. Gallen gehörte. Gebaut wurde sie 1901.
Die Kapelle Maria-Hilf im oberen (früher: im kurzen) Acker, Hinterlehn, Gehrenberg, mißt gemäß Jakob Signer 13 m2. Über ihren Bau heißt es auf einer Tafel im Innern:
"Im Jahre 1900 hat Johann Baptist Speck in Schwende diese Kapelle erbauen lassen - 50 Jahre zuvor hatte er, von argem Drüsenleiden behaftet, an dieser Stelle geruht und in seiner Not mit Vertrauen die Hilfe unserer lieben Frau angerufen. Alsbald wurde ihm Linderung und nach 14 Tagen volle Genesung von der langjährigen Krankheit zu teil."
Es dürfte sich bei diesem Joh. Bapt. Speck um den damaligen Besitzer des oberen Ackers gehandelt haben; die Familie Speck kam noch vor 1800 zu dieser Liegenschaft, die bereits im Missale von Appenzell um 1300 verzeichnet ist. 1829 kaufte sie Josef Speck, 1865 Johann Baptist Speck. 1910 kam sie dann auf einer freiwilligen Versteigerung an Johann Baptist Broger, Grund, Gonten, 1918 an dessen Sohn Johann Josef. Verwalter der Kapelle ist seit mehreren Jahrzehnten (seit 1948) Franz Broger-Breitenmoser, Zweibrücken, Gais. Wie er nicht ohne Stolz betont, mußte sie noch nie renoviert werden, hauptsächlich deswegen, weil jedes Jahr kleinere Unterhaltsarbeiten ausgeführt werden.
Die Kapelle, die am Feldweg vom Hinterlehn zum Saul liegt, ist gemäß dem Kunstdenkmälerband über Innerrhoden ein "einfacher Bethäuschentypus". Geweiht wurde sie an einem Maisonntag, nachmittags um 15 Uhr (am 19. Mai 1901). der Altar wurde im Jahre 1908 erstellt, und zwar von Johann Knechtle, Dachdecker in Schlatt, und von Johann Koster, Unterstein, Enggenhütten. Zwei Altarleuchter stammen aus der Zeit der Renaissance; sie werden dem 16. Jahrhundert zugeordnet. Der Kreuzweg in der Kapelle wurde in den dreißiger Jahren von Familie Sutter-Speck, Rapisau, gestiftet.
Wie Franz Broger zur Geschichte ergänzend zu erzählen weiß, baute Joh. Bapt. Speck die Kapelle erst, nachdem er einen Wink von oben erhalten hatte. Speck, ein "Kopflissepes", stürzte nämlich von der Heubühne und brach sich dabei ein Bein - da erinnerte er sich des Versprechens, das er ein halbes Jahrhundert zuvor im jugendlichen Alter von vielleicht 20 Jahren getan hatte.
Im Mai wird übrigens immer noch jeden Sonntag abend eine Maiandacht gehalten, um 18 Uhr, und zwar bei "jedem Wetter", wie Franz Broger betont.


Digitalfotoaufnahme von Heinz Hongler, August 2006

Abgeschlossen sei dieser Beitrag mit einem Gedicht an die Muttergottes, das sich auf der "Gründungstafel" findet.

Wer rief Dich nie vergebens,
Maria, hoffend an?
Du, Mutter alles Lebens,
Du brichst des Todes Bann!
Du trägst auf Mutterarmen
den größten Wunderheld,
Die Gnade, das Erbarmen,
den Trost der ganzen Welt.
Aus: Licht und Freude aus dem Glauben, 1994, Herausgeber: Pfarrei- und Kirchenrat St. Mauritius, Appenzell

Der Innerrhoder Alpsegen

Freitag, Juli 14, 2006

Unsere Liebe Frau vom Ahorn - 4

Das Marienbild in segensvoller seraphischer Hut

Neben diesem leidgeprüften Marienkinde Anna Maria Enzler ist Kapuzinerpater Eberhard Walser die um die Ahorngnadenmutter verdienteste, historisch sichergestellte Persönlichkeit.
In wahrhaft seraphischer Marienminne gehütet, blieb nun das kostbare Kleinod durch beiläufig 30 Jahre bei P. Eberhard. Die Verdienste dieses Kapuziners rechtfertigen es vollauf, die Ahornfreunde näher mit ihm bekannt zu machen.

P. Eberhard Walser wurde geboren am Frühlingsheiligkreuztag, den 3. Mai 1837, im stattlichen Oberländerdorf Flums. Zwei Schwesterchen, Barbara und Regina, begrüßten entzückt ihr willkommenes Brüderlein Johann Peter. Der Vater, ein begüterter Bauer, diente dem Kanton St. Gallen als Verfassungsrat und starb schon 1856. - Johann Peter treffen wir 15jährig an der Kantonsschule St. Gallen, später am Kollegium in Schwyz. Am 14. Oktober 1858 weihte er sich Gott und dem seraphischen Orden durch die heilige Profeß in Zug. Zu einer ausnehmenden Feierlichkeit gestaltete sich die Primiz. Ganz gegen den damaligen Provinzgebrauch durfte er in seiner Heimatgemeinde das hochheilige Estlingsopfer darbringen. Wegen außerordentlichen Volksandranges von nah und fern mußte die Feier unter freiem Himmel gehalten werden. Als geistlicher Vater und Festprediger erbaute der berühmte Kapuzinerprovinzial P. Anizet Regli von Andermatt die über 2200 köpfige Beterschar. - Das erste Wirkungsfeld für P. Eberhad wurde Appenzell,von 1861 bis 1868. In diese Zeit fällt sein Pfarrvikariat in Rorschach, die Rorschacher wollten ihn dann gleich als Pfarrer behalten. Ähnlich ging es nachher im st.gallischen Berg, hier wurde er sogar Ehrenbürger. In Appenzell machte er seine segensreiche Vorschule als Christenlehrer in Steinegg und in der Lank, als gesuchter Beichtvater und als unermüdlicher Berater und Tröster in allen möglichen Anliegen für Leib und Seele, Haus und Stall. Anfangs 1868 befiel den gotterleuchteten Apostel und Beter eine schwere Krankheit. Längere Zeit schwebte er zwischen Leben und Tod. Die Sorge um seine Rettung bewog offenbar Anna Maria, die der Segen der Ahornmutter so oft stärkte, dem teuren Seelsorger aus Dank und Vertrauen das Gnadenbild zu schenken. Und Maria hat geholfen. P. Eberhard genas wieder. - Am Wundmalfest des seraphischen Vaters Franziskus, den 17. September 1869, rief ihn der Gehorsam nach kurzem Aufenthalt in Wil nach Mastrils, einem eine schwache Stunde hoch ob Landquart gelegenen Antoniuswallfahrtsort. Die Obern setzten das ganze Vertrauen auf den 32jährigen P. Eberhard; er sollte die schweren Krisen in Pfarrei und niederliegender Wallfahrt überwinden. Der Erfolg zeigte, wie die Obern mit seiner Berufung vom Heiligen Geist geleitet waren. P. Eberhards Klugheit und Gottvertrauen stellten Frieden und religiösen Geist der Gemeinde sichtlich her. Die Antoniuswallfahrt begann zu blühen, die Pilger mehrten sich. Immer deutlicher erwies sich der Pater als weiser Ratgeber und erfolgreicher Beter. Zu Tausenden kamen Heimgesuchte und Leidgeprüfte in allen möglichen Anliegen. Prälaten und Professoren suchten Rat, Geschäftsleute und Bauern hofften auf seine Hilfe; alt und jung, Gesunde und Kranke pilgerten hinauf zum "heiligen Vater", so wurde er nämlich von Mund zu Mund, sogar auf Postadressen genannt.
Der Verfasser hatte selber das Glück, als junger Rhetoriker beim "Wundermann" zu weilen und Zeuge zu sein, wie er trotz belagertem Sprechzimmer noch für seraphische Gastfreundschaft Zeit zu finden wußte.
Das Geheimnis seiner "Gotteskraft" und oft wunderähnlichen Erhörungen - freut euch, liebe Ahornpilger -, das war eure, damals noch seine Ahornmadonna! Nie öffnete er einen Brief in Gegenwart anderer. Er zog sich dann zurück zu seinem göttlichen Freund im Tabernakel und immer wieder zu seinem "Lieblingsschatz", dem Gnadenbild!

Pater Eberhard Walser, OFMCap
P. Eberhard war gar kein Freund photographischer Aufnahmen. Als man eine solche von der "Muttergottes im Ahorn" anfertigte, lockte ihn kluge List in deren Nähe. Damit wurde uns das Bild gesichert: Maria vom Ahorn und ihr seraphischer Hüter.
Indessen machten sich immer mehr Stimmen bemerkbar für die Heimkehr der Ahornmutter, zumal auch der Kapellenbau ernstlich in Frage gezogen wurde, so daß sich ihr Hüter schweren Herzens damit abfinden mußte, dem Drängen nachzugeben. Es mag die Madonna selber geheimnisvoll gesagt haben: "Bruder, ich möchte heim, laß mich ziehen! Ich werde dir aber immer nahe sein. Vertrau mir!"
Der damalige Ahornbesitzer, Kirchenpfleger Sutter, nahm für die Wiedergewinnung des Gnadenbildes seinen in höchstem Ansehen stehenden Schwiegervater, Landammann und Ständerat J. B. E. Rusch, zu Hilfe. Dieser schrieb von Bern aus, wo gerade Bundesversammlung stattfand, am 10. Juni 1880 an P. Eberhad: "... Es ist dem Besitzer der Weide Ahorn die Kunde geworden, daß sich das Bild in Ihren geehrten Häden befinde. So sehr sich der Besitzer genannter Weide einerseits glücklich schätzt, das verehrungswürdige Bild so gut aufgehoben zu wissen, liegt ihm andererseits doch nicht ganz recht, daß sich in besagter Weide kein Zeichen früherer Pietät mehr vorfindet, und er ist nicht unschwer zu dem Versprechen veranlaßt worden, an schönster Stelle besagter Liegenschaft eine Kapelle errichten zu lassen, falls ihm das ursprünglich am Ort gestandene Bild wiederum (zu besagtem Zwecke) überlassen würde.
Ich begreife wohl, daß es Ihnen Bemühungen verursachen mag, sich von dem Bild zu trennen; der höhere Gedanke jedoch, dadurch den Bau und den Unterhalt einer Kapelle in unseren Weiderevieren zu sichern und zugleich dadurch das Andenken einer altehrwürdigen Einsiedelei im besten Sinne wieder aufzufrischen, wird Sie wohl eher zu einem Ja, als zu einer Abweisung des gewiß löblichen und opferfreudigen Unternehmens stimmen..." (Originalbrief im P. A.)
P. Eberhard war zur Herausgabe des Bildes bereit, wenn wirklich eine Kapelle gebaut würde, in der man die hl. Messe lesen könne. Diese Bedingung stieß auf Widerstand in Appenzell; für zehn Jahre verlief die Sache im Sande.
Auf alle Fälle verfaßte der Pater eine schriftliche Erklärung in dem Sinne: "Sollte die Kapelle je in einen unwürdigen, ihrem Zwecke nicht mehr entsprechenden Zustand verfallen, oder sonst sich etwas ereignen, was die Verehrung dieses Bildes an diesem Orte hindern oder verunmöglichen würde, so hat das titulierte Kapuzinerkloster Appenzell allzeit das Recht, das Bild als sein Eigentum zu betrachten und darüber zu verfügen, respektive dasselbe wegzunehmen." (P. A. 17.7.1895).
P. Eberhard wirkte durch 37 volle Jahre in Mastrils. Ein unerschütterliches Vertrauen auf die göttliche Vorsehung, treueste Verschwiegenheit, rührende Genügsamkeit, beispiellose Gastfreundschaft zeichneten diesen Mann Gottes aus. Mitten in die Mastrilserzeit fiel der Tod seiner 84jährigen Mutter, die ihm durch Gebet und Opfer wertvolle Hilfe bot. Dann folgte für ihn als sicherstes Zeichen wahrer Auserwählung und Gottesliebe eine gut fünfjährige Passionszeit verdemütigender, seelenrettender Krankheiten und Leiden, bis er am 12. Februar 1911 im Kreise barmherziger Brüder des Johannesstiftes Zizers und befreundeter Priester den Flug in die ewige Heimat nahm. In einem triumphalen Leichenbegängnis fand er mit dem Segen der Kirche die irdische Ruhe.

"Und wenn ich stumm und starr dann liege,
so sprecht zum Segen über mich:
Du liegst im Tod auch nicht verlassen,
Dein Heiland sieht herab auf dich!"

So hatte er unbewußt sein eigenes Grablied gedichtet.

Fortsetzung

Donnerstag, Juli 13, 2006

Unsere Liebe Frau vom Ahorn - 3

Sturm und Wetter gefährden das Gnadenbild

Die durch Marias Fuß machtlos getretene Schlange mußte sich winden vor Wut. Die Hölle ahnte wohl den herrlichen Sonnenglanz, der bald über der Ahorn-Madonna leuchten sollte. Es können deutlich zwei verschiedene Legenden auseinander gehalten werden: die Wildkirchli-Legende und die Sitter-Legende. Für die erste tritt ein nicht zu unterschätzender Gewährsmann ein, Kapuzinerpater Eberhard Walser. Im Provinzarchiv Luzern (P. A.) finden sich von ihm folgende geschichtliche Notizen:


"Dieses hölzerne alte Marienbild mit dem Jesuskind stammt nach den traditionellen Mitteilungen aus den ältesten Zeiten her. Es soll in den Zeiten der Reformation vieles, sehr vieles an ihm vorübergegangen sein! - Von noch Lebenden wird folgendes als sicher mitgetheilt: Vor ca. 150 Jahren (1690-1718) war dasselbe noch im Ahorn, Sonnenhalb, auf einer Alp, in einem hohlen Baumstamme, vor dem die Sennen, die nicht in den Gottesdienst gehen konnten, während demselben den Rosenkranz beteten. -
Auf diese Alp kam in der Folge ein reformierter Senn von Außerrhoden, der sie zum Lehen hatte, - und dem dann das Bild, das nun in einer Hütte Platz fand, - begreiflich im Wege war. Mit den Ausdrücken: "Jener Platz passe ihm am besten für die Saustande" - warf er das Bild unter schrecklichen Fluch- und Schmähworten - dreimal ins Feuer, - und eben so oft war es, wunderbar, ohne von den Flammen verzehrt zu werden, unversehrt, was man auf der Rückseite noch sieht - (es sind dort noch deutliche Spuren, daß es im Feuer gelegen, und daß sich die darauf angebrachte Farbe von selbst abgelöst -) wieder am gleichen Platze. -
Und der betreffende Heiligthumsschänder war von nun an so unglücklich, - krank, und ein so höchst unglückseliger bedauernswürdiger Tod war sein Los, - daß ein halbes Jahrhundert davon die Rede war.
Dieses Bild kaufte dann Hinkesetonneli, - und nahcher kam es in den Besitz des Bruder Anton sel. im Wildkirchlein, - und nachher in den seines Bruders Bodelisfranztoni, und nachher kaufte es ziemlich theuer, - Joh. Bapt. Manser, an dessen Kranken- und Sterbebett ich stand, und von dem derselbe manch Wunderbares, Außerordentliches, und Vertrauenerregendes erzählte.
Wenn man in Noth, Kummer und Sorgen vor demselben bete in kindlichem Vertrauen zu Maria, der Gottesmutter, werde man wunderbar getröstet werden und oft wunderbare Erhörung finden. Von diesem letztgenannten kam dann das Bild erbweise an Geschwister Enzler (deren Mutter Maria Johanna Manser, Mällishanneli, war; d. V.) und ist, durch besondere Fügung auf eigenthümliche Weise, - nun in dem rechtlichen Besitze des P. Eberhardus Walser, s. Z. Superior und kath. Pfarrer zu St. Anton, und soll lebenslänglich in dessen Besitz bleiben, der denn auch für eine weitere würdige Bestimmung desselben nach seinem Gutfinden sorgen wird."

Obwohl Pater Eberhard merkwürdigerweise nichts vom Axthieb und Wurf in den Weißbach berichtet und auch nichts von der Rettung aus der Sitter, lebt eine Version: das Bild sei schon im Bödeli, Sonnenhalb, gestrandet, und dann wäre eine Zeitlang der Eremit vom Wildkirchli, Bruder Anton Fässler (1802-1853), Besitzer gewesen. Nach seinem Tod sei es an dessen Bruder gekommen, wie P. Eberhard oben ebenfalls berichtet. In der Verzichtsurkunde auf das Gnadenbild vom 17. Juli 1895 (P. A.) stimmt Pater Eberhard der Rettung aus der Sitter auch zu.

Mehr verwurzelt ist im Volk die Sitter-Legende in folgender Fassung:
Im Herzen des religionsfeindlichen Sennen tobten geistige Wetter des Hasses gegen alles Katholische, insonderheit gegen die Mutter Gottes. Längst war ihm das Bild auf seiner Alp ein Dorn im Auge. Krankheit und Unglück schrieb er diesem verhaßten Bilde zu. Es sollte unschädlich gemacht werden. Erst riß er's aus der Baumhöhlung und verbarg es in einer Stallecke. Später warf er es unter Fluchen und Lästern ins Feuer unter dem Käskessi; es half aber nichts, denn die Statue blieb so gut wie unversehrt. Auch ein zweiter und dritter Versuch blieb erfolglos, die Holzstatue brannte nicht, ja das Käskessi sei sogar in Stücke zersprungen. Darüber noch mehr verbittert, nahm er die Axt. Auch mit der konnte er nichts ausrichten, sie traf das Holz, als ob es Stahl wäre. Die Axt flog vom Halme und verwundete ihn schwer. Unter schrecklichen Fluchworten warf er das Bild in den Weißbach hinunter. Tatsache ist, daß Brandspuren und Axthiebe noch am Bild zu sehen sind. In der gleichen Nacht sei ein fürchterliches Hagelwetter niedergegangen und habe die ganze Alp zerschlagen. Jahre hindurch wollte kein Senn mehr die Ahornalp nutzen. Den betreffenden Frevler, der sich so sakrilegisch am ehrwürdigen Ahornbild vergriffen, traf Gottes Strafe auf dem Fuß. Er hatte keinen frohen und keinen gesunden Augenblick mehr. Sein unglückseliger, bedauerswerter Tod ging noch durch Jahrzehnte von Mund zu Mund.

Mit Ehrfurcht folgen wir nun dem zur Vernichtung verurteilten Bild in den Wassern des Weißbaches, der am Talausgang in den Schwendebach und Brüelbach mündet. Alle drei zusammen werden jetzt Sitter genannt.

Der Verfasser erlaubt sich hier eine Zwischenbemerkung. In meiner ersten Priesterzeit vor beiläufig 40 Jahren fand ich in einem alten Buch, dessen nähere Bezeichnung mir leider abhanden gekommen, wie die Mönche der berühmten Stiftsschule St. Gallen den Namen Sitter katechetisch verwerteten. Diese Erklärung beeindruckte mich so stark, daß ich sie nie mehr vergaß. Der Name Sitter, die nahe bei der Stiftsschule St. Gallen vorbeifloß, gab Anlaß zur bildlichen Erklärung des Geheimnisses der hochheiligen Dreifaltigkeit. Wie in Irland, woher ja die St. Galler Mönche kamen, der hl. Patrizius das Geheimnis am Kleeblatt erklärte: ein Kleeblatt und doch drei Blättchen - so legten nun die St. Galler Mönche den Stiftsschülern den Namen Sitter aus als "sint tria unum - aus dreien wird eins, drei ist auch eins". Drei Bäche werden ein Fluß: Schwendebach, Brüelbach und Weißbach bilden die Sitter. So suchten die gelehrten Mönche Licht in das erhabenste Geheimnis zu bringen, vielleicht auch bei Gelegenheit eines größeren Ausfluges in das Gebiet der Abbatiscella.

Das Bild nahm nun, sagt die Legende weiter, den Weg durch die unruhige Sitter. Wie mag die Gottesmutter dort, wo der Fluß die Stützmauern der Pfarrkirche beleckt, ihrem göttlichen Sohn im Tabernakel ihr künftiges Wirken im Ahorn ans Herz gelegt haben und alle Anliegen, die einst dorthin zu ihr getragen würden, auch deine und meine Anliegen. In einem Wasserwirbel in der Nähe der Lankkapelle (abgebrannt mit dem Gasthaus "Rössli" am Mittwoch, den 19. April 1911) sei dann das Bild im Hochwasser gesichtet und gerettet worden.
Bis heute ist noch nie volle Klarheit darüber geworden, wie und wie lange es ging, bis das Ahornbild, vom Frevler weggeworfen, in der Lankgegend gefunden und endlich in sichern Gewahrsam genommen wurde.
Alle kursierenden Berichte über die Rettung aus der Sitter bei der Lank sind unhaltbar. Am Pfingstmontag 1945 kam der Verfasser nach mühsamem Suchen, gemäß Aussagen Nächstbeteiligter und überraschender Feststellungen auf der Landeskanzlei, zu einem neuen Resultat:
Während einem Hochwasser (wie es fast alle Jahre eintreten kann) haben einige Männer beim Heimet Trünzig-Enggenhütten am Sitterstrand Holz geflößt. Sie legten das herausgefischte Holz auf die nächstliegende Wiese. Mit den Holzstücken kam auch eine Muttergottesstatue zum Vorschein. Beim Verteilen des Holzes fiel die Statue dem ledigen Josef Anton Enzler zu. Er wollte sie dem Joh. Bapt. Kölbener für seine St.Johannkapelle schenken. Dieser aber wies sie mit der Bemerkung ab, die Muttergottesstatue gehöre anderswohin. So nahm sie Enzler für seine Altertumssammlung mit heim. Dann aber überließ er sie seiner tiefreligiösen, schwerkranken Schwester Anna Maria. Voll Freude über die willkommene Gabe verehrte sie das Bild hochheilig und vertrauensvoll, bemerkte aber sehr bedeutsam des öfteren, das Bild sei hier doch nicht am rechten Ort.
Wie die Gottesmutter oft zu tun pflegt, erflehte sie der Kranken nicht Genesung, wohl aber die große Gnade, gottergeben zu leiden und gottfroh zu sterben (13. Mai 1878). In dieser Gesinnung brachte sie auch das Opfer, ihr Gnadenbild aus Dankbarkeit für die vielen tröstlichen Besuche dem erkrankten Lankchristenlehrer, P. Eberhard Walser, zu schenken. Es konnte in keine bessere Obhut kommen. Um so mehr wachte da Gottes Vorsehung, weil der Bruder der Anna Maria, der, wie bereits erwähnt, Antiquitätenhändler war, unerwartet rasch am 11. März 1882 seiner Schwester Anna Maria im Tode folgte. Seine Sammlung wurde während zwei vollen Tagen versteigert. Das Gnadenbild aber ist so rechtzeitig wieder gerettet worden.
Diese Angaben wurden mir ehrenwörtlich gegeben und werden, wenn nötig, eidlich bestätigt von einer noch lebenden nahen Verwandten der Anna Maria Enzler. Mit dem Namen Enzler treffen sich Pater Eberhards Notizen, so daß von da an alles geschichtliche Tatsache wird. Die große Ehre, das Gnadenbild einige Jahre beherbergt zu haben, gehört dem Hause Gschwend in Rapisau, heute im Besitz der Familie Adolf Gschwend-Büchler.

Fortsetzung

Mittwoch, Juli 12, 2006

Unsere Liebe Frau vom Ahorn - 2

I. Wir lauschen dem Werden und Wachsen des Ahornheiligtums

Der Name "Ahorn" wirkt in weitesten Kreisen des Appenzellervolkes wie Zauberklang; wie Aveklingen aus Kinderkehlen und kindlichfrommen Herzen; wie Mutterlächeln aus Aug und Antlitz derer, die keine Bitte ungewährt und keinen Flehruf unerhört verhallen läßt. Das war seit Jahr und Tag so!
Marienliebe und Marienlob zur Gnadenmutter vom Ahorn aber nahmen immer glühendere Formen an, begeisterten immer mehr leidgeprüfte Hilfesucher und trostbedürftige Herzen, seitdem Natur und Übernatur in wundersamen Begebenheiten zu den ewigen Bergen wiesen, woher allein allmächtige Hilfe kommt.
Was "Ahorn" aber heute ist, das wurde er erst, seitdem das Gnadenbild ein eigenes, erstes Kirchlein erhielt. Aus Wettersturm und Menschenhaß, aus stillem Verborgen- und Geborgensein, aus großherzigem persönlichem Verzicht zugunsten vieler und aller kam der Gnadenmutter hochheilig Bild ins erste kleine Heiligtum.
Gar aber, als 1937 vertrauensvolle Freigebigkeit des Volkes und katholische Feinfühligkeit des modernen Künstlers eine Weihestätte geschaffen, die ihresgleichen sucht im Schweizerlande, hat Unsere liebe Frau vom Ahorn ihr allseitiges, liebend-verstehendes, barmherziges Mutteramt zu entfalten begonnen. Anliegen auf Alp und Weide, aus Haus und Stall, aus Krankenstuben und Bildungsstätten, Anliegen aus allen Ständen und jeglichem Alter beanspruchen ein altbekanntes Wort für sich:

"Trifft dich ein Weh,
zur Ahornmutter geh
und sag es ihr,
so hilft sie dir!"

Geheimnisvolles Dunkel um die Ahornmutter

Die Madonna im Ahorn teilt das Schicksal fast aller berühmten Gnadenbilder. Niemand weiß, wer sie schuf, woher sie kamen. So hat dann der Volsglaube vielen sogar übenatürliche Autorschaft zugeschrieben. "Acheiron" heißt das älteste Erlöserbild, das heißt: "Nicht von Menschenhand geschaffen". Es wird in der Laterankirche aufbewahrt, alljährlich einmal in pompösen Festlichkeiten durch die Straßen der Ewigen Stadt getragen. Florenz hat seine "Santissima Annunziata", sein Gnadenbild, von dem die Legende geht: nicht wagte der Künstler Marias Antlitz zu malen. Da sank er betend in tiefen Schlaf, und als er erwachte, grüßte ihn das vollendete Bild. Von fast allen wundertätigen Gnadenbildern der Schweiz ist der Künstler unbekannt. Dunkel auch, wann sie entstanden. So kennt kein Mensch Ursprung und Autor der Ahornmadonna. Kenner und Künstler verlegen deren Ursprung in die vorreformatorische Zeit, in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts, da Bruder Klaus im Ranft wirkte. Sie reihen diese Holzstatue spätgotischen Arbeiten ein, beurteilen sie auch als kein großes Kunstwerk, finden aber doch in dem fast hart scheinenden Ausdruck hochherzige Mutterliebe, die Arbeit eines Bildhauers von tiefkindlichem Glauben.
Unsicher nur kann auch der Zeitpunkt angenommen werden, wann die gläubigen Älpler ihre Madonna in den Ahorn gestellt. Vor ihr hielten sie dann als Ersatz für einen oft unmöglichen Sonntagsgottesdienst ihre Andacht. In den Geheimnissen des Rosenkranzes gaben sie Gott und Maria die Ehre und empfahlen ihre Haus- und Stallanliegen diesem höheren Schutze. Wir denken da an Meister Liners prächtige Gabe vom Alpsegen.
Als lichtes Dunkel möchten wir aber eine Mission deuten, der das Gnadenbild gewürdigt ward. Wie an den Toren der Urschweiz die "Siegerin über alle Irrlehren" ihre eigenen Heiligtümer erwählte: Gubel für Zug, Wesemlin für Luzern, Maria Rickenbach für Unterwalden, Maria Sonnenberg für Uri, Einsiedeln für Schwyz, so stand die mächtige Schlangentöterin an den Toren Innerrhodens: als Maria Hilf in Haslen, als Maria Trost in Gonten und nun, Gruß und Dank dir, Ahorn-Madonna von Appenzell! Dein ist der Sieg über schwerste Glaubensgefahren im Herzen unseres Ländchens. Der kühne Titel, den dir ein treuer Freund gab, hat seine Berechtigung: "Maria Ahorn, das Nationalheiligtum des kleinen Appenzellerlandes."

Fortsetzung

Unsere Liebe Frau vom Ahorn - 1

Geschichtliches und Pilgergebete
Zum goldenen Jubiläum der ersten Kapellweihe 1895-1945
Dem lieben Appenzellervolk gewidmet
von Kapuzinerpater Desiderius

Zum Geleit

Längst lebte der stille Wunsch nach einem Wallfahrtsbüchlein im Herzen vieler Ahornfreunde; laut und immer lauter tat er sich kund, seit das neue Heiligtum jährlich Hunderte von Pilgern und Fremden in seinen Bann zieht.
Im Jahre 1895 erhielt das erste Kapellchen seine kirchliche Segnung, die Wiederkehr des 50. Jahrestages drängte zur Tat. Der verdiente Verwalter der Ahornstiftung, Herr Nationalrat Dr. Broger, beauftragte mich, einmal das Geschichtliche vom Ahorn zusammenfassend darzustellen und dann in einer Auswahl passender Gebete den Pilgern priesterlich zu dienen.
Es war nicht leicht, fromme Legende und Sicheres auseinander zu halten. Unsicher ist, wann das Bild nach Ahorn kam und von dort verschwand, sicherer, daß es aus der Sitter gerettet wurde, sicher, was seither mit ihm geschah. Auf Wunsch verzichte ich möglichst auf Nennung noch lebender Zeugen, sie bleiben festgehalten im Wallfahrtsarchiv. Im Gebetsteil berücksichtigte ich Wünsche der lieben Alpsteinleute, mit denen ich bereits ein Jahrzehnt Liebes und Leides, viel Not und Sorge liebend trage.
Allen, die mich bei diesem Werklein mit Rat und Hilfe unterstütz, lohn' es die Gnadenmutter und mein dankbar Gedenken im heiligen Opfer.

Ahornmutter, mit dem Kinde lieb, uns allen Deinen Segen gib!

Appenzell, im Sommer 1945
P. Desiderius Hugentobler, Kapuziner