Mittwoch, Juli 12, 2006

Unsere Liebe Frau vom Ahorn - 2

I. Wir lauschen dem Werden und Wachsen des Ahornheiligtums

Der Name "Ahorn" wirkt in weitesten Kreisen des Appenzellervolkes wie Zauberklang; wie Aveklingen aus Kinderkehlen und kindlichfrommen Herzen; wie Mutterlächeln aus Aug und Antlitz derer, die keine Bitte ungewährt und keinen Flehruf unerhört verhallen läßt. Das war seit Jahr und Tag so!
Marienliebe und Marienlob zur Gnadenmutter vom Ahorn aber nahmen immer glühendere Formen an, begeisterten immer mehr leidgeprüfte Hilfesucher und trostbedürftige Herzen, seitdem Natur und Übernatur in wundersamen Begebenheiten zu den ewigen Bergen wiesen, woher allein allmächtige Hilfe kommt.
Was "Ahorn" aber heute ist, das wurde er erst, seitdem das Gnadenbild ein eigenes, erstes Kirchlein erhielt. Aus Wettersturm und Menschenhaß, aus stillem Verborgen- und Geborgensein, aus großherzigem persönlichem Verzicht zugunsten vieler und aller kam der Gnadenmutter hochheilig Bild ins erste kleine Heiligtum.
Gar aber, als 1937 vertrauensvolle Freigebigkeit des Volkes und katholische Feinfühligkeit des modernen Künstlers eine Weihestätte geschaffen, die ihresgleichen sucht im Schweizerlande, hat Unsere liebe Frau vom Ahorn ihr allseitiges, liebend-verstehendes, barmherziges Mutteramt zu entfalten begonnen. Anliegen auf Alp und Weide, aus Haus und Stall, aus Krankenstuben und Bildungsstätten, Anliegen aus allen Ständen und jeglichem Alter beanspruchen ein altbekanntes Wort für sich:

"Trifft dich ein Weh,
zur Ahornmutter geh
und sag es ihr,
so hilft sie dir!"

Geheimnisvolles Dunkel um die Ahornmutter

Die Madonna im Ahorn teilt das Schicksal fast aller berühmten Gnadenbilder. Niemand weiß, wer sie schuf, woher sie kamen. So hat dann der Volsglaube vielen sogar übenatürliche Autorschaft zugeschrieben. "Acheiron" heißt das älteste Erlöserbild, das heißt: "Nicht von Menschenhand geschaffen". Es wird in der Laterankirche aufbewahrt, alljährlich einmal in pompösen Festlichkeiten durch die Straßen der Ewigen Stadt getragen. Florenz hat seine "Santissima Annunziata", sein Gnadenbild, von dem die Legende geht: nicht wagte der Künstler Marias Antlitz zu malen. Da sank er betend in tiefen Schlaf, und als er erwachte, grüßte ihn das vollendete Bild. Von fast allen wundertätigen Gnadenbildern der Schweiz ist der Künstler unbekannt. Dunkel auch, wann sie entstanden. So kennt kein Mensch Ursprung und Autor der Ahornmadonna. Kenner und Künstler verlegen deren Ursprung in die vorreformatorische Zeit, in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts, da Bruder Klaus im Ranft wirkte. Sie reihen diese Holzstatue spätgotischen Arbeiten ein, beurteilen sie auch als kein großes Kunstwerk, finden aber doch in dem fast hart scheinenden Ausdruck hochherzige Mutterliebe, die Arbeit eines Bildhauers von tiefkindlichem Glauben.
Unsicher nur kann auch der Zeitpunkt angenommen werden, wann die gläubigen Älpler ihre Madonna in den Ahorn gestellt. Vor ihr hielten sie dann als Ersatz für einen oft unmöglichen Sonntagsgottesdienst ihre Andacht. In den Geheimnissen des Rosenkranzes gaben sie Gott und Maria die Ehre und empfahlen ihre Haus- und Stallanliegen diesem höheren Schutze. Wir denken da an Meister Liners prächtige Gabe vom Alpsegen.
Als lichtes Dunkel möchten wir aber eine Mission deuten, der das Gnadenbild gewürdigt ward. Wie an den Toren der Urschweiz die "Siegerin über alle Irrlehren" ihre eigenen Heiligtümer erwählte: Gubel für Zug, Wesemlin für Luzern, Maria Rickenbach für Unterwalden, Maria Sonnenberg für Uri, Einsiedeln für Schwyz, so stand die mächtige Schlangentöterin an den Toren Innerrhodens: als Maria Hilf in Haslen, als Maria Trost in Gonten und nun, Gruß und Dank dir, Ahorn-Madonna von Appenzell! Dein ist der Sieg über schwerste Glaubensgefahren im Herzen unseres Ländchens. Der kühne Titel, den dir ein treuer Freund gab, hat seine Berechtigung: "Maria Ahorn, das Nationalheiligtum des kleinen Appenzellerlandes."

Fortsetzung

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