I.
Nicht weit von zwei Straßen, auf denen sich der Verkehr von Appenzell nach St. Gallen und von Teufen herab nach Stein und Hundwil bewegt, liegt in Einsamkeit und grünen Wiesen das Klösterlein gebettet, von dem ich erzählen will. Woher immer du ihm nahst, von allen Seiten ist’s schön, von jeder auch wieder anders. Wer von der Teufenerstraße herkommt und auf den Klosterweg abbiegt, dann weiter geht, steht plötzlich vor eine Gruppe, von der er nicht weiß, ist’s ein Dörflein oder ein einziges Haus. Bau an Bau ducken sich ein, zwei, drei, vier, fünf Häuslein, wie Kinder bei der Mutter an das breitgedachte Kirchlein. Ein Bild göttlichen Schutzes für gottsuchende Menschenkinder. Im Hintergrund türmt sich ein doppelter Wall: die grünen Appenzeller Hügel mit der Hundwiler Höhe, dem Himmelberg und anderen Kuppen, ableitend zu dem gewaltigen, von stiller Majestät gekleideten grauen Alpsteinmassiv mit der Säntiskette. Ein wohlgestimmter Akkord aus Menschenwerk und Naturgebilde: Kloster, Hügel und Berge. Wer von dort herkommt, wo die Berge stehen und in das Gmündenertobel gewandert ist, sieht auf hohem Fels einen gewaltigen zweiarmigen Bau wie eine Bastion mit Mauern gegürtet, sieht den Wald um und über die Felsen hinaufsteigen, als wollte er die Wiesen aufhalten, die von oben herab ins Tobel hinunter fallen.
Das ist Wonnenstein. Ein in „Wunne“, d. h. in einer Wiese liegendes Klösterlein, in dem fromme, der Welt entflohene Frauen Gott zur Ehre beten und singen, für den Lebensunterhalt sticken und arbeiten oder heilen und helfen, wenn bekümmerte Mütter ihre kranken Kindlein bringen, Arme speisen, Rat geben, Zuflucht spenden. Dafür das geräumige Klostergebäude, das Gasthaus, die Apotheke, die Stickstube, die Wirtschaftsgebäude. Ein kleines Dorf, eine Bastion, eine Gottesburg voll Eifer für Gott und barmherziger Liebe zum Nächsten. Ein Haus der Wonne, ein kleines Paradies, so möchte man sagen, war man sein Gast; Wonnenstein, so nennen‘s die Leute, Maria Rosengarten zu Wunnenstein, so spricht von ihm zuerst eine Urkunde von 1673.
Wer nach der Geschichte dieser kleinen Gottesstadt fragt, findet, trotzdem sie in hohes Alter, bis nahe an die Zeit Karls des Großen heranreicht, da man ungefähr 1000 schrieb, keine bandreiche Klostergeschichte. Die schläft noch in den Archiven und alten Papieren. Dafür reden vereinzelte Versuche von chronikartigen Aufzeichnungen, über kürzere oder längere Zeitabschnitte und einzelne Ereignisse. In dieser Weise hat sich unter allen eine Klosterfrau Apollonia Heim aus Appenzell Verdienst um die Geschichtsschreibung dieses Hauses erworben. Sie stützt sich vor allem auf die älteste Chronik von Wonnenstein, an der gegen Ende des 17. Jahrhunderts P. Gregor von Beroldingen schrieb, um die Ereignisse von Gründung (1228) bis 1624 zu sammeln. Wertvoll sind die Aufzeichnungen des P. Bernard Fassbind aus den Jahren 1714-1728. Andere Chronisten sind P. Ignatius Schneider und P. Joachim Brunner, beide Beichtiger zu Wonnenstein. Das beste Verdienst um die Geschichtsschreibung Wonnensteins hat der 1914 als Abt von Engelberg gestorbene P. Leodegar Scherer, ehedem gleichfalls Beichtiger von Wonnenstein. Er hat mit großer Liebe und vielem Fleiße die Quellen der Geschichte Wonnensteins aufgesucht und gesammelt: alte Totenbücher, Bruchstücke alter Aufzeichnungen, Urkunden aller Art und eine Geschichte des Klosters versucht. Er schrieb mehrere dicke Bände, so 1897 ein „Verzeichnis aller ehrw. Schwestern“ und ein „Verzeichnis der hochw. Herren Beichtväter“; 1898 eine „Chronik des ehrw. Gotteshauses und Frauenklosters Maria Rosengarten zu Wonnenstein“ von 1826 bis 1904 und ein „Verzeichnis der Oberinnen und Mütter“. Es war kein Leichtes, aus so spärlichem und harten Material, wie’s ihm vorlag, den Versuch einer Geschichte Wonnensteins zu erstellen. Was spätere Forscher schreiben werden, daran wird, was P. Leodegar schrieb, seinen Anteil und sein Verdienst haben.
Den Weg von einer Einsiedelei, die St. Galler Mönche unter Abt Immon (975-984) bezogen, bis zu dem stillen Geschichtsschreiber, Beichtiger und Visitator Abt Leodegar genauer zu erforschen und zu schildern, bleibt Aufgabe der St. Galler Kirchengeschichtsforschung, in der das Kloster eine eigene Stelle dadurch hat, dass es in fast ununterbrochener Dauer von der blühenden Karolingerzeit fort, durch alle staats- und kirchenpolitischen Wirren, durch Kriege und Krankheiten und Revolutionen hindurch, gelebt und gedauert hat, bis in unsere gewitterhafte sturmgeschaukelte Zeit, und dauern wird, das gebe Gott, bis die Völker sich wieder in Eintracht und Liebe ihrer Brüderlichkeit bewusst geworden sind, und von engen Diesseitsgedanken sich suchend abkehren, nach bleibenden Gütern zu tasten. Dieser Zeit möge dann das alte kleine Wonnenstein mit anderen größeren Gottesstätten der Schweiz Wahrzeichen und Wegweiser sein.
Aus dieser langen Geschichte heute nur ein einziges Blatt, das wie eine Gewähr dafür ist, und sein soll, dass Gottes Auge verzeihend auf Wonnensteins Geschichte geruht hat, und dass Gottes Hand barmherzig und segnend auf ihm ruhen wird. Der von Abt Leodegar Scherer am sorgfältigsten und ausführlichsten geschriebene Band Wonnensteins Klostergeschichte ist das Verzeichnis der Oberinnen und Mütter. Von jener ersten Toten, die sich im Totenbuche von 1647 verzeichnet findet und nach wohlbegründeter Vermutung die erste Frau auf Wonnenstein war, Elle oder Adelhaid (1228), bis auf jene Schwester Katharina, die um 1381 als erste Frau Mutter geschichtlich festzustellen ist, bis heute, ist eine lange, lange Reihe von Frauen, die als Oberinnen oder Mütter dem Kloster Wonnenstein fast ununterbrochen von 1381 bis 1953 [dem Jahr der Herausgabe dieser Schrift!] vorstanden. Man sieht in den Blättern dieser Geschichte das Haus wachsen an Räumlichkeiten, sich mehren an Mitgliedern. Unter Anna Gmünder, der dritten Frau Mutter, entsteht 1455 das Priesterhaus. Im folgenden Jahre zerstört Feuer bis auf dieses Haus und den Stall alles. Man sieht die Anfänge der Unabhängigkeit des Klosters in geistlicher Beziehung mit der Bitte, die 1481 nach Konstanz ging, um einen eigenen Geistlichen; die Geschichte der priesterlichen Leitung, die mit 1513 beginnt, da Papst Leo X. dem Kloster einen eigenen Geistlichen zubilligte, und in deren Entsendung sich die Franziskaner-Konventualen und die Abteien von St. Gallen und Fischingen und nun Engelberg teilen. Man hört den Sturm der Reformation an die Mauern schlagen und deren Folgen. Mit der (siebenten) Mutter Ursula Gmaner von Bregenz (1593) zieht neues Leben in Wonnenstein ein und hebt es so zur Blüte, dass innerhalb weniger Jahre (1603-1611) acht Schwestern entsandt werden, um als Oberinnen und Lehrmeisterinnen in den Klöstern von Hundwil und Steinertobel, Zug, Appenzell und Grimmenstein und St. Anna in Ried bei Bregenz zu reformieren und zu regieren. 1612 kamen Schwestern von Zug nach Wonnenstein zur Erlernung und Übung klösterlichen Lebens. Wonnenstein sah sonnige Tage des Glanzes und wieder gewitterschwere Zeiten der Heimsuchung. 1629 starben an einer pestartigen Krankheit sieben Schwestern, vier Gäste und die Frau Mutter. 1712 sehen wir die Nonnen das Gmündenertobel hinaus nach Appenzell fliehen. Es kämpfte damals Abt Leodegar Bürgisser von St. Gallen gegen die Toggenburger. So geht es weiter über die Napoleonische Zeit ins 19. Jahrhundert. 1845 blüht Wonnenstein auf ein neues. Das neugegründete Kloster auf dem Gubel bei Menzingen bittet, Novizinnen zur Ausbildung nach Wonnenstein entsenden zu dürfen. 1850 gelangen die Gründer eines Klosters Au bei Steinen an Wonnenstein, Leitung und Leute zu erbitten, bis endlich 1855 Wonnenstein das vor dem Untergange stehende Kloster Leiden Christi übernahm, mit großen Opfern rettete und seinen Fortbestand sicherte, bis es sich 1918 verselbständigen konnte. Auch Teufen, das 1896 zur Pfarrei erhoben wurde, wuchs sozusagen aus dem Klosterkirchlein heraus, das bis dahin für die Teufener und andere Katholiken der religiöse Mittelpunkt durch Predigt und schönen Gottesdienst gewesen war. Es muss späterer Geschichtsschreibung aufbehalten werden, die Kurven der Entwicklung Wonnensteins auf st. gallisch kirchengeschichtlichem und allgemein zeitgeschichtlichem Hintergrund zu zeichnen und die Teilnahme des Klosters an den Geschicken des Landes und der Kirche St. Gallens und Appenzells zu schildern.
II.
Eine Frau aus der langen Reihe der Vorsteherinnen Wonnensteins hat durch ihr vorbildliches Ordensleben, durch ihre außerordentliche Begnadigung und durch den Ruf ihres heiligmäßigen Lebens, in dem sie bei nicht unbedeutenden Männern ihrer Zeit und der Klosterfamilie stand und heute noch steht, den Vorzug vor allen. Sie verdient einer undankbaren Vergessenheit entrissen und der Aufmerksamkeit des Landes zugeführt zu werden, dem sie entstammt, in dem sie wirkte und starb. Es ist die am 10. Mai 1847 verstorbene und neben der Klosterkirche zu Wonnenstein ruhende Schw. Bernardine Ledergerber von St. Fiden. Sie war bürgerlich von St. Josefen. Am 23. Oktober 1801 geboren, war sie dann nach Wonnenstein in die Lehrstube aufgenommen worden. Am 7. Juli 1818 kam sie ins Konvent und erhielt am 19. Februar 1819 das hl. Kleid. Am 10. Februar 1820 legte sie, kaum neunzehnjährig, unter dem Namen Bernardine Scholastica Josefa ihre Gelübde in die Hände des hochwürdigen Herrn Prälaten von Fischingen ab. Es würde zu weit führen, an dieser Stelle ihrem Geschlechte und näherer Verwandtschaft nachzugehen. Genannt sei hier nur der Bruder, der spätere Dekan von Einsiedeln, P. Rupert. Über ihr Leben und ihre Begnadigung sind uns zuverlässige Zeugnisse erhalten: Eine Notiz, die nach einem Berichte des Abtes Franziskus Fröhlicher in Fischingen abgefasst ist, der als Visitator und außerordentlicher Beichtvater Wonnenstein besucht hatte; hundertelf Briefe der Schwester Bernardine an ihren Bruder im Archiv zu Wonnenstein, andere Briefe von Pater Rupert, Pater Athanasius Tschoop, Pater Claudius Perrot, Pater Gall Morel vermutlich im Archiv von Einsiedeln; etwa achtzehn Heftchen Aufzeichnungen ihres Beichtvaters Pater Sebastian Leemann über das, was Bernardine in ihren außerordentlichen Zuständen tat oder redete; eigene Aufzeichnungen der Schw. Bernardine. Endlich fünf Bände, in denen das gesamte material von Pater Sebastian Leemann, der den ersten Band schrieb und von Pater Claudius Perrot gesammelt wurde. Es gab eine Zeit emsiger Nachfrage nach Aufzeichnungen der Schw. Bernardine. So kamen Sachen u. a. an den H.H. Pfr. Widmer von Iddaburg und nicht mehr zurück. Es wäre dringend zu wünschen, die verlorenen, nach Wonnenstein gehörigen Schriften wieder zusammenzubringen. Zuletzt hat Abt Leodegar Scherer in seinem „Verzeichnis aller ehrwürdigen Schwestern“ (1897) über Schw. Bernardine ausführlich berichtet, der erste Versuch einer zusammenfassenden Darstellung ihres Lebens.
Der äußere Lebensgang und das Verdienst Mutter Bernardinens für das Kloster, soweit es noch greifbar ist, ist sehr bald erzählt. Im Jahre 1829 stand sie vor dem Amte einer Sakristanin, sollte die Apotheke übernehmen und die Lehrstube leiten. Sie wurde Sakristanin und später Lehrfrau für die Kandidatinnen. 1832 äußerste sich das Vertrauen und die Wertschätzung, die sie im Kloster genoss, darin, dass sie zur Frau Mutter gewählt wurde. Sie überkam dieses Amt noch zweimal: im Oktober 1835 und im September 1838. Wir lesen in den Briefen an ihren Bruder, mit welchen Gesinnungen der Selbstlosigkeit und der Demut sie Oberin wurde und war. In die letzten Jahre ihrer Regierung fallen bedeutende bauliche Veränderungen an der Kirche, die Erweiterung des Kirchenchores um die Hälfte, die Beschaffung des schön gearbeiteten Gitters. Auch im Hause wurde erneuert, gebaut und verändert. Über den geistigen Stand ihres Hauses lassen sich Vermutungen aufstellen, die ihr zur Ehre gereichen und die einem von hohem Ernste getragenen Visitationsberichte zu entnehmen sind, den Abt Franz von Fischingen verfasste. Nachdem sie 1841 froh und erleichtert das Mutteramt niedergelegt hatte, sehen wir sie 1846 noch an der Arbeit im Noviziat. Dann starb sie im schönsten Alter von 46 Jahren.
Um ihr Fortleben war damals sogleich Pater Claudius Perrot von Einsiedeln, ein anerkannter Geistesmann, besorgt. Wir entnahmen seinem Briefe an den Beichtvater Pater Sebastian nur folgendes: „So gehört nun auch das Leben der verstorbenen Schwester Bernardine der Klostergeschichte an. O lassen Sie es nicht sterben. Wenn Ihre beständige Kränklichkeit Sie hindert, daran zu arbeiten, so sorgen Sie dafür, dass die vorhandenen Materialien in ein Ganzes gebracht und so der lieben geistlichen Familie von Wonnenstein bleibe…! Wollen wir Schriften wechseln, so stehen Ihnen die meinigen zu Gebote… Aber Sie müssen den Anfang machen, wenn Sie es für gut halten. Mein Vorschlag geschieht ganz ohne Zudringlichkeit. Ich habe Arbeit genug; doch würde ich der lieben Bernardine wohl noch etwas zu liebe tun, und Sie wären der Erste, der in Besitz davon käme.“
Wenn ein Mann wie P. Perrot so für eine einfache arme Klosterfrau von Wonnenstein spricht, muss ihr Leben nicht unbedeutend gewesen sein, müssen die außerordentlichen Geisteszustände nicht ferne von Glaubwürdigkeit, Echtheit und wahrer Mystik gestanden haben. Wir geben der Erzählung des damaligen Priors, späteren Abtes Franz von Fischingen, das Wort, der als außerordentlicher Beichtvater und Visitator die Dinge aus nächster Nähe beobachtet hatte. Schw. Bernardine „hatte in ihrer frühesten Jugend eine außerordentliche Neigung zur Einsamkeit und zum Gebete. Als sie sich einmal nach dem Heusammeln (schon Klosterfrau) in einen nahen Wald entfernt und lange vergebens überall mit Angst gesucht worden war, machte man ihr, als man sie endlich fand, harte Vorwürfe wegen ihren Übertreibungen, strafte sie strenge und behandelte sie von dieser Zeit an strenge. Hiezu kamen bald die schauerlichsten Anfechtungen und Klagen des Teufels, der ihr Tag und Nacht keine Ruhe ließ; ihr in Gestalt der Beschließerin erschien und ihr sagte, wie Pater Beichtiger so unzufrieden mit ihrer eigenen und übertriebenen Gottseligkeit sei. Nach verschiedenen Plackereien und nach vorgenommenem Exorzismus verschwindet auf einmal die teuflische Plage und es treten himmlische Tröstungen ein. Es wird ihr Seelenauge aufgetan. Sie sieht ihren Schutzengel, sieht die Mutter Gottes und die Heiligen, aber Christum nicht. Sie sieht zu Weihnachten Maria und Josef, die Engel, die Krippe, aber Jesum nicht. Voll Angst und Kummer und Trauern hierüber verdoppelt sie ihr Beten, fasten und Weinen, um des Anblicks des Herrn würdiger zu werden. Endlich nach langem, langem Harren wird ihr im Refektorium die Aufforderung, sie solle in ihre Zelle gehen, sie werde Jesum sehen. Sie fliegt dahin; es erscheint ihr die Mutter Gottes mit dem Jesuskinde. Dieses wird in ihre Arme gelegt. Sie hält es zwei Stunden voll Inbrunst und sieht nun von da an Jesum in allerlei Gestalten, vorzüglich in der leidenden. Er reicht ihr zwei Kronen, eine goldene und eine Dornenkrone. Sie wählt die letztere, leidet die Schmerzen der Dornenkrönung, Geißelung, der Kreuzigung, erhält die Wundmale, bittet Gott sehr, ihr dieselben wieder zu nehmen; sie werden unsichtbar. Herr Pater Prior hat selber ihre Wundmale an Händen und Füßen gesehen. Sie erschienen gewöhnlich in brauner und blauer Farbe, zuweilen blutend. Sie leidet Unsägliches, aber jedes Leiden muss sie für eine bestimmte Sühnung jedesmal freiwillig übernehmen und alles, auch das Geringste, tut sie mit aller Hingabe und im Gehorsam. Dem Pater Beichtiger gehorsamt sie in allem und ist später als Oberin des Klosters überall gegenwärtig, ruhig, heiter, unbefangen außer ihren Leiden und Ekstasen. Alles im Kloster liebt sie sehr und hängt ganz an ihr. Einmal wird sie in ihrer Zelle von Christo zurückgehalten und findet wunderbar, als sie ins Konvent kommt, den Tisch, welchen sie damals hätte besogen sollen, durch den Schutzengel gedeckt. Einmal hört sie als Küsterin in der Kirche, als sie aufrüstet, weinen und weiß nicht wer. Darauf sie auf dem Altartisch das weinende Jesuskind erblickt, welches bald hernach verschwindet. Pater Prior hat die Nonne oft selber in Entzückung gesehen, was in der Regel allemal nach der hl. Kommunion geschieht. Da kniet die andächtig Betende, auf einmal richtet sie den früher gesenkten Kopf auf, die Augen sind halb geschlossen. Man kann sie anrühren, stoßen, wie man will, sie weiß davon nichts; denn alle äußeren Sinne sind geschlossen. Jetzt fängt sie an in rein deutscher begeisterter Bildersprache laut zu beten, etwa Gott solle ihr diese außerordentlichen Gnadenbezeugungen, die sie vor der Welt auszeichnen und sie zum Falle bringen könnten, wegnehmen. Sie hat dabei allerlei Erscheinungen, z. B. die Erscheinung eines glänzenden Kreuzes, mit ebenso vielen verschiedenfarbigen Edelsteinen als Schwestern im Kloster sind, und es wird ihr über die Führung einer jeden Herrliches gesagt. Ihr Schutzengel führt sie bisweilen auch in die Versammlungen der Feinde der Kirche und zeigt ihr, was die Kirche noch zu leiden habe, wie sie aber siegreich aus dem Kampfe hervorgehen werde. Auch herrliche Hymnen auf Jesum und die Himmelskönigin in fließender lateinischer Sprache finden sich von ihr vor.“ Soweit der Bericht des Abtes von Fischingen. Er ließe sich aus dem ersten Bande der Aufzeichnungen des Pater Sebastian Leemann noch um manchen erbaulichen Zug ergänzen. Mag es mit den erzählten Begebenheiten eine Bewandtnis haben wie immer, vor zwei Dingen bleiben wir fragend stehen, vor dem von Pater Gall Morel musterhaft verdeutschten Hymnus „O montes memorabiles Gethsemane et Golgatha“, „O ihr unvergesslichen Berge Gethsemane und Golfatha“, der von der des Lateins unkundigen Nonne uns überliefert ist, und vor der uns durch den Professor der Physik, Pater Athanasius Tschoop aus Einsiedeln, und Pater Claudius Perrot am 4. August 1836 bekundeten Erscheinung der Wundmale. „Die gemeldeten Wundmale“, so bezeugt Pater Tschoop, „beobachtete der Unterzeichnete ganz deutlich, so dass anfänglich nicht die geringste Spur erschien, als aber der ekstatische Zustand eingetreten, erschienen die Stellen an beiden Händen außen im Durchmesser fast eines Zolles stark gerötet, so dass die Mitte eine intensive Röte zeigte. Auch im innern Teile der Hand zeigte sich dasselbe, jedoch weder an Umfang noch Intensität den äußern Malen gleich. Kaum eine halbe Stunde nach der Ekstase sah ich sie wieder, und jede Spur war wieder verschwunden.“ „Obiges Urteil“, schreibt Pater Perrot, „als Augenzeuge ganz und vollkommen bestätigend, setze nur hinzu: Selig, die da glauben und doch nicht sehen. Selig auch, die durch das Zeugnis ihrer eigenen Augen noch gläubiger geworden sind.“
III.
Im Zusammenhang mit diesen Erscheinungen gewinnt ein Ereignis besonders an Gewicht, das mit dem Rosenkranz-Sonntag 1833 seinen Anfang nimmt, längere Zeit für Wonnenstein von hoher religiöser Bedeutung war und auf dem Wege ist, wieder zu werden; es soll uns hier noch kurz beschäftigen. An genanntem Tage feierte Pater Rupert, ihr Bruder, in Einsiedeln Primiz. Schw. Bernardine nahm daran teil und berichtet darüber später ihrem Bruder und mit besonderem Nachdrucke dieses eine: „In meinem ganzen Leben vergesse ich diese Zeit nicht und so oft ich in die hl. Kapelle trat, war es mir, als trete ich in den Himmel und jedesmal hörte ich die deutliche Stimme, das ich mit einem Eid bekräftigen darf, „Lasse ein Bild aufrichten in Deinem Kloster, das mir ähnlich ist“. Die Fertigung eines Marienbildes in Nachbildung der Einsiedler Gnadenmutter wurde bald in Angriff genommen. Man musste damit, schreibt Pater Rupert am 7. Juli 1834, sehr vorsichtig sein, weil Gefahr war, das Gerücht käme auf, es stehe die Flucht des wahren Gnadenbildes bevor. Im November desselben Jahres war das Bild fertig. Eine von drei Offizialen von Einsiedeln gezeichnete Urkunde verbürgt die genaue Nachbildung, seine Berührung mit dem Gnadenbilde am 30. Oktober und seine feierliche Weihe durch Abt Cölestin am 4. November.
Ende November war das Bild schon in Wonnenstein. Schwester Bernardine erzähltl in einem Briefe den sonnigen Tag Mariä Opferung, die Freude des Klosters, die Beteiligung des Volkes und den Hergang der kirchlichen Feier. Mit dem Bilde war Glück ins Haus gekommen: Segen und Gnade ging von der Gnadenmutter aus, zog das gläubige Volk an, mehrte die Liebe und die Verehrung zur allerseligsten Jungfrau. Tag und Nacht kamen Beter und zogen getröstet von dannen. Wunderbare Erhörungen sind uns aus jener Zeit berichtet. Am auffallendsten dürfte die Heilung einer Schwester Franziska Widmer von Mosnang gewesen sein. Sie zeichnete sich aus durch Gehorsam und Demut. Schon lange krank, verlangte sie vor das neue Gnadenbild getragen zu werden. Sie betete dort, ging ohne Hilfe ins Krankenzimmer zurück und wurde vollauf arbeitsfähig. Zeugen der plötzlichen Heilung waren der Beichtvater, Frau Mutter und die Krankenwärterin. Das Bild wurde bald von einem kostbaren Gehäuse umschlossen und stand im Bethause des Klosters. Der dadurch sozusagen in die Einfriedigung des Klosters hineingetragene Verkehr beeinträchtigte in ungeahnter Weise die Ruhe des Hauses. Die Schwestern verloren den ihnen gebührenden Platz stiller Sammlung und Andacht. Andere unvorgesehene Störungen entstanden durch die zum Bethause pilgernden Leute für die Klausur. Dem zu steuern, verbot der spätere Abt Leodegar Scherer den Zutritt des Volkes. So wurde das wundertätige Bild allmählich der Verehrung des Volkes entzogen und fremd. Aber am 21. November 1923 konnte es aus langjähriger, stiller Verborgenheit wieder hervortreten. Über dem linken Seitenaltar erhielt es seinen Ehrenthron.
+ + +
Möge das stille, liebe Klösterlein bei Teufen durch das erhobene Gnadenbild zu einem neuen „Wonnenstein“ werden, ein „Rosengarten Mariens“, der seine Dornen immer tragen wird, solange Menschen auch bester Gesinnung ihn hegen und pflegen, Menschen leidgebeugt zu ihm kommen und wieder getröstet scheiden, der aber auch immer seine Rosen bringen wird: Rosen echter klösterlicher Tugend, Rosen des Trostes und der Gnade für das arme Volk, Rosen der Barmherzigkeit und die so seltene Wunderrose echter, rechter, verzeihender, gütigertragender, verstehender Nächstenliebe. Das gebe Gott dem Hause Gottes zu Wonnenstein, der Gemeinde Teufen, dem ganzen Lande Appenzell und St. Gallen – immerdar.
HYMNUS
De Christo patiente
1.
O Montes memorabiles
Gethsemane et Golgatha!
Dedistis, heu! spectacula
Nullis audita saeculis.
2.
Illinc indutus hominem,
Et nostra portans crimina,
Pressus cordis angustiis,
Servator sudat sanguinem.
3.
Naturae hinc miraculo,
Latrones inter medius
Pendens in cruce moritur
Aeternus Dei Filius.
4.
Bis sacer cruor profluit
Ceu carne adhuc integrâ
Ceu fossis ex vulneribus
Utrimque nobis fusus est.
5.
Nam quod Adami vitio
Aeger mundus decumberet,
Hoc uno medicamine
Sanari morbus potuit.
6.
His Montes ergo Fidei
Signati sunt mysteriis ;
Qui Christi nomen geritis,
Mortales! Hoc perpendite !
7.
Amori tanto justius
Quid adhiberi poterit,
Quam foco tostus gemino
Amor, et pectus igneum ?
8.
Vos spiritus angelici !
Vos, o ardentes Cherubim !
Ferte faces, adurite
Flammis corda coelestibus.
9.
Sit summo Patri gloria,
Sit Patienti Domino,
Sancto simul Spiritui
Sit gratiarum actio ! –
HYMNUS
von Christi Leiden
(Übersetzung nach P. Gall Morel)
1.
O Berge, ewig wunderbar!
Gethsemane und Golgatha!
Ihr botet – ach! ein Schauspiel dar,
Wie nimmer ein Jahrhundert sah!
2.
Der uns’re Menschheit an sich nahm,
Auf dem all‘ uns’re Sünde ruht,
Der schwitzt, bedrängt von Herzens Gram,
Als Heiland dort für uns sein Blut.
3.
Und hier schwebt Er so wunderbar,
Zu zweien Mördern hingereiht,
Und stirbt am Kreuzesholze gar,
Der Gottes Sohn von Ewigkeit.
4.
Ach! zweimal floss des Blutes Wein,
Hier aus der Wunde tief und hohl,
Dort aus dem Leib von Wunden rein,
Doch beidemal zu unserm Wohl.
5.
Denn die seit Adams Sündenfall
Darniederliegende Natur
Erlangte Heilung ihrer Qual
In diesem Wunderbalsam nur.
6.
Solch Glaubenswunder ward geprägt
Auf jener Berge heilig Paar,
Ihr, die ihr Christi Namen trägt,
Ihr Sterblichen, nehmt solches wahr!
7.
Und welches Dankeszeichen wohl
Ist solche Liebe eher wert,
Als eine Brust der Liebe voll,
Entflammt auf jenem Doppelherd?
8.
Ihr Engelgeister eilt heran,
Ihr Cherubim voll Flammenmut,
Die Himmelsfackel zündet an,
Entflammt die Brust mit Himmelsglut!
9.
Dem Vater Ruhm im Himmelreich,
Dem Herrn, der für uns leiden wollt‘,
Dem Heil’gen Geiste auch zugleich
Sei unermess’ner Dank gezollt.